16. 09. 2023
Delbrück. Ruhe braucht Martin Geßner für seine Tätigkeit. Deshalb schließen er und seine Kollegen sich in der Regel in der Kirche ein. Das schwarzwälder Team von Orgelbau Winterhalter hat jetzt alle Hände voll zu tun, die Renovierungsarbeiten an der „Königin der Instrumente“, der Orgel, in St. Johannes Baptist zu beenden. Intonateur Geßner ist dafür verantwortlich, dass das Klangbild stimmig aufgebaut wird. Das geht am besten ohne Publikum. Deshalb wird die Kirche noch bis zum Monatsende nur für die Gottesdienste öffentlich zugänglich sein.
„Von der Planung bis zur Fertigstellung der neuen Orgel werden dann insgesamt mehr als sechs Jahre vergangen sein“, sagt Peter Meermeyer vom Delbrücker Kirchenvorstand. Orgelbaumeister Claudius Winterhalter hat die Orgel im Juni 2020 das erste Mal besucht und sie wie auch das umhüllende Kirchenschiff einer Diagnose unterzogen. Sein Befund: Umfangreiche Funktionsmängel am Instrument, aber eine grundsolide Substanz in einer Kirche, in der sich die Orgel von der Temperatur und der relativen Luftfeuchtigkeit her „wohl fühlt“.
Neues Klangbild
Das Instrument wurde in den 70-er Jahren in der Paderborner Orgelbauwerkstatt Feith erbaut. „Das Äußere der Orgel“, so Winterhalter, „entspricht in Form und Ästhetik seiner Entstehungszeit. Das mittelbraune, holzsichtige Gehäuse mit fünfgliedrigem Prospektbild wurde gut in den Emporenraum des Kirchturms eingepasst.“ Nach Abschluss der Renovierung wird die Orgel in neuem Licht erstrahlen. Die Ausschnittarbeiten im Holzgehäuse haben goldfarbene Hinterlegungen erhalten. Das sieht festlich aus und wird das neue Klangbild unterstreichen. Denn hier haben die Orgelbauer wirklich Neues geschaffen.
Neues Schwellwerk
„Das Besondere an der Delbrücker Orgel ist tatsächlich, dass sie die Voraussetzungen bot, durch die Ergänzung von Klangfarben und die Erneuerung der Funktionstechnik ein neuwertiges Instrument zu bauen“, erklärt der Orgelbaumeister. Entstanden ist so eine Orgel, die klanglich von einem durchschnittlichen zu einem Konzertinstrument gewachsen ist. Für einen orchestralen Klang sorgt das neue, vorher nicht vorhandene „Schwellwerk“. Ein ausgeklügeltes System von beweglichen Jaluosielamellen ermöglichen durch Öffnen und Schließen dieses Werkes eine ausgeprägte Klangdifferenzierung. Die mehschichtig bis 60 mm stark gedämmten Wände dieses Schwellwerks machen ein ausgepägtes Laut und Leise des Orgelspiels möglich.
Vollerer Klang: Teilergänzungen und zwei neue Register
Die ursprünglich 32 Register, so heißen die einzelnen Pfeifenreihen in ihren vielfältigen Bauformen aus speziellen Zinn-Legierungen und diversen Hölzern, erzeugen den typischen Orgelklang. Jetzt wurden zwei Register ergänzt: Die Orgel hat nun 34 Register. Winterhalter: „Die im Zuge der Renovierung deutlich vergrößerte Klangfülle sowie musikalische Farbigkeit ist auf die Ergänzung und spezifische Erneuerung des vorhandenen Klangbestandes zurückzuführen.“ Ein Großteil der Pfeifen blieb dabei erhalten und wurde lediglich gereinigt, nachintoniert und neu gestimmt. Erstaunlich weich und biegsam ist das Material der runden Metallpfeifen, eine silbern glänzende Zinn-Blei-Legierung. Handschmeichlerisch warm hingegen fühlen sich die neuen rechteckigen Holzpfeifen an. Sie sind aus unterschiedlichen Hölzern und auch in unterschiedlicher Hölzer-Kombination gearbeitet. Schon handwerklich schön anzuschauen etwa sind die Holzpfeifen mit einem Doppellabium, also mit zwei Öffnungen für den Ton. So erzeugt eine Pfeife zwei gleichzeitig gespielte Stimmen, was natürlich einen kräftigeren Flötenklang verursacht.
Nachhaltigkeit steht im Vordergrund
Dem Kirchenvorstand war es wichtig, dass alle guten und wertigen Bestandteile des Instruments erhalten bleiben. „Das ist im Sinne der Nachhaltigkeit einfach notwendig“, konstatiert Meermeyer. Winterhalter stimmt dem zu. „Die älteren Windladen, die die Orgelpfeifen erst erklingen lassen, sind bei der Delbrücker Orgel beispielsweise eine tipp-topp Schreinerleistung.“ Durch den Erhalt und die Aufarbeitung der guten Substanz und das Erneuern des technisch Notwendigen konnten die Delbrücker viel Geld sparen. Die Anschaffung einer komplett neuen Orgel hätte wohl eine Million gekostet. Die Renovierung, die die Kirchengemeinde vor allem dank einer Erbschaft finanzieren konnte, beläuft sich auf weniger als die Hälfte .
Dass die beauftragten Änderungen und Neuerungen ordnungsgemäß durchgeführt wurden, prüft der die Renovierungsplanungen von Anfang an begleitende Orgelbeauftragte und Dekanatskirchenmusiker der Erzdiözese Paderborn, Jörg Krämer. Er wird auch die zwei ästhetisch gestalteten und ergonomisch gebauten Spieltische abnehmen, den Haupt- und den Chorspieltisch. Die Tasten der jeweils drei Manuale dürfen sich nicht im geringsten verwerfen, weil sie sonst festklemmen würden. Bei jahreszeitlich wechselnden Temperaturen und unterschiedlicher Luftfeuchtigkeit im Kirchenschiff eine besondere Herausforderung an das verwendete Material. „Wir haben die Klaviatur aus gewässertem Fichtenholz gearbeitet, das aus den Hochgebirgsregionen von Schwarzwald und Allgäu stammt. Am besten noch aus Holz, dass nach Westen hin dem Wetter entgegen ganz langsam gewachsen ist“, erklärt Winterhalter. Die schwarzen Obertasten bestehen aus zertifiziertem afrikanischen oder asiatischen Ebenholz, der Spieltisch und das Pedal selbst aus Eiche aus deutschen Mittelgebirgen und vom Oberrhein.
Auf der Empore und im Kirchenschiff: jetzt zwei Spieltische
Gemeindemitglieder wie Kirchenmusik-Interessierte werden bald Gelegenheit haben, den neuen Spieltisch aus nächster Nähe zu sehen. Denn eine der wesentlichen Neuerungen ist, dass es davon jetzt zwei gibt. Ein Spieltisch steht bei der Orgel auf der Empore, der zweite absolut identische unten im Seitenschiff. Er ist mit Strom- und Netzwerkkabeln, die fast 100 Meter über das Deckengewölbe bis zur Orgelempore geführt wurden, zu verbinden. Auch von unten kann die Orgel jetzt bespielt werden, etwa wenn ein Chor den Organisten begleitet oder andere Musiker. Claudius Winterhalter: „Auf jeden Fall werden Musikfreunde hier Klänge hören, die sie so sonst nirgends in der Umgebung genießen können. Höchstens im Paderborner Dom“. Beste und erste Gelegenheit dazu bietet der festlich gestaltete Sonntagsgottesdienst am 15. Oktober, an dem die Orgel offiziell eingeweiht werden wird.